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Vergleich von 15 Risikobeurteilungen

Viele Institutionen – wissenschaftliche Expertengremien, staatliche Behörden, Verbände, zivilgesellschaftliche Organisationen – publizieren Risikobewertungen zu Mobilfunkstrahlung. Die Einschätzungen sind selten deckungsgleich, häufig sogar diametral verschieden. Das führt zu Verunsicherung. Warum gibt es so unterschiedliche Beurteilungen? Wem kann ich vertrauen?

Im Folgenden stellen wir die Bewertungen von 15 Institutionen einander vergleichend gegenüber, so dass man sofort sieht, welche Organisation was wie beurteilt. Diese Gegenüberstellung basiert auf einer Analyse der Aussagen der Institutionen, wie man sie in öffentlich zugänglichen Dokumenten und Websites findet. Wir haben unsere Analysen den Organisationen zur Begutachtung geschickt und deren Feedback eingebaut, so dass die nachfolgend zusammengestellten Risikoeinschätzungen die Meinungen der Institutionen wiedergeben.

Zwei Faktoren können die in der Zusammenstellung sichtbaren Differenzen zwischen den Organisationen grossenteils erklären: zum einen die berücksichtigten Fakten (welche wissenschaftlichen Daten/Artikel wurden konsultiert? Sind auch ausserwissenschaftliche Einsichten, z.B. Einzelfallbeschreibungen oder Medienberichte in die Bewertungen eingeflossen?), zum anderen die Bewertungsmassstäbe (sind die gesammelten Evidenzen streng wissenschaftlich beurteilt worden oder leitete z.B. der Vorsorgegedanke die Bewertung?).

Nachfolgend zeigen wir zunächst die Risikoeinschätzungen der Organisationen. Anschliessend wird dargestellt, weshalb die Einschätzungen teilweise so verschieden sind.

Die Erkenntnisse basieren auf einem vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) finanzierten Projekt, das die FSM und die Stiftung Risiko-Dialog St. Gallen gemeinsam durchführten. Der vollständige Projektbericht ist hier zu finden: Schlussbericht.

Berücksichtigte Organisationen

Die Auswahl der Organisationen erfolgte nach einem systematischen Raster. Dabei war nicht zwingend vorgegeben, dass nur wissenschaftliche Studien in die Risikoeinschätzung einfliessen mussten. Es konnte auch auf andere Quellen (medizinische Erfahrungsberichte, Gerichtsurteile, politische Entscheide, etc.) Bezug genommen worden sein. Sodann wurde eine breite Auswahl von Organisationen aus den Bereichen Wissenschaft (W), Staat (S) und Zivilgesellschaft (Z) angestrebt, um die politisch relevanten „Stimmen“ und Gesichtspunkte zu versammeln. Zuletzt sollten nicht nur Bewertungen von nationalen (Deutschland) Akteuren, sondern auch von internationalen Gremien berücksichtigt werden.

Berücksichtigte Risiken

Der Fokus lag auf möglichen gesundheitlichen Risiken von Mobilfunkstrahlung. Um die Bewertungen der Organisationen miteinander vergleichen zu können, wiesen wir die in den Dokumenten abgehandelten gesundheitlichen Aspekte einem oder mehreren von neun „Gesundheitsbereichen“ zu. Die Zuteilungen waren  in den allermeisten Fällen unproblematisch. Wir schickten jeder Organisation zur Kommentierung, Korrektur oder Ergänzung die Ergebnisse zu. Die Rückmeldungen waren fast durchwegs Bestätigungen unserer Einteilung. Wenn nicht wurden entsprechende Korrekturen vorgenommen.

Neben den gesundheitlichen Wirkungen wurden auch die rein biologischen Effekte (die nicht notwendigerweise eine gesundheitliche Bedeutung haben) analysiert. Die Befunde dazu wurden nach demselben Raster beurteilt. Auch diese Beurteilungen basieren auf den Aussagen der Organisationen und wurden von diesen zur Kommentierung zugeschickt.

Die detaillierten Ergebnisse mit Zitaten / Quellenverweisen und von den Organisationen gewünschten Korrekturen finden sich im Projektbericht.

Berücksichtigte Effektkategorien

Weil die Forschung zu wichtigen Fragen (noch) keine abschliessende Antwort hat, kann man kein Schwarz-Weiss-Bild malen. Die Grautöne sind zentral. Wir haben, in Anlehnung an bestehende wissenschaftliche Raster 4 Effektkategorien gebildet (siehe Figur) und analysiert, in welche Kategorie aus Sicht der jeweiligen Organisation eine Wirkung fällt. Auch hier: Die Zuteilungen waren in fast allen Fällen unproblematisch. Wir schickten jeder Organisation zur Kommentierung, Korrektur oder Ergänzung die Ergebnisse zu. Die Rückmeldungen waren fast durchwegs Bestätigungen unserer Einteilung. Bei Bedarf korrigierten wir unsere Zuteilung.

Die Risikoeinschätzungen im Vergleich

In nebenstehender Tabelle sind die Risikoeinschätzungen der Organisationen vergleichend dargestellt. In den Spalten finden sich die erwähnten Gesundheitsbereiche, in den Zeilen die Namen der Organisationen. Zellen ohne Farben bedeuten, dass die betreffende Organisation zum betreffenden Gesundheitseffekt keine Aussage bzw. Bewertung gemacht hat. Zellen mit Farben geben die Risikobewertung der Organisation zum betreffenden Gesundheitseffekt wieder. Die Farbkodierung entspricht den oben angegebenen Effektkategorien. In der Spalte Organisationstyp wird noch einmal zur Erinnerung vermerkt, ob es sich bei der jeweiligen Institution um eine wissenschaftliche (W), eine staatliche/behördliche inkl. WHO (S) oder eine zivilgesellschaftliche (Z) Organisation handelt.

Die Tabelle zeigt, dass die Risikoeinschätzungen sehr unterschiedlich sind. Wissenschaftliche Organisationen (Ausnahme: BioInitiative) sowie Behörden und die WHO vermitteln ein Bild, das wenig Anlass zur Sorge gibt. Gleiches gilt für das von der Industrie getragene Informationszentrum Mobilfunk (IZMF; inzwischen aufgelöst). Ein teilweise diametral anderes Bild vermitteln die zivilgesellschaftlichen Organisationen, sowie die Expertengruppierung BioInitative, die zu den wissenschaftlichen Organisationen zählt. Aus deren Sicht liegt für viele Gesundheitsbereiche der Risikonachweis vor.

Gründe für unterschiedliche Risikobewertungen

Obwohl alle Organisationen Zugang zu ein- und derselben wissenschaftlichen Literatur haben, fallen die Risikobewertungen uneinheitlich aus. Das kann, unter anderem, mit folgenden Gründen erklärt werden:

Evidenzbasis

Risikoanalysen basieren wesentlich auf wissenschaftlicher Evidenz. Systematische Literaturanalysen bilden den umfassendsten und aufwändigsten Ansatz – quasi den Goldstandard – wenn es darum geht, die wissenschaftliche Evidenz zu gewichten. Häufig werden aber in Risikoeinschätzungen Studien nicht systematisch berücksichtigt, sondern mehr oder weniger selektiv ausgewählt. Dann besteht die Gefahr, dass eine Literaturanalyse die Evidenzlage verzerrt darstellt. Diese Gefahr ist besonders gross, wenn die wissenschaftliche Erkenntnislage nicht wirklich eindeutig ist und nur wenige Artikel konsultiert werden und/oder (bewusst oder unbewusst) bevorzugt Artikel ausgewählt werden, die ein Risiko postulieren oder umgekehrt „Entwarnung“ geben.

Sodann kann sich eine Risikobewertung auch auf ausserwissenschaftliche Dokumente berufen. Angestrebt ist dann weniger eine rein expertenbasierte Facheinschätzung als eine eher breit abgestützte Gesamtbeurteilung. Entsprechend unterschiedlich können dann Risikoberichte qualitativ ausfallen.

Wir haben den Umgang der Organisationen mit wissenschaftlichen und anderen Evidenzen untersucht (Fragebogen, Dokumentenanalyse – für das methodische Vorgehen, auch zum Umgang mit fehlenden Fragebogen und Antworten: siehe Schlussbericht) und festgestellt, dass es drei Kategorien von Herangehensweisen und Berichten gibt (in Klammern die Zuteilung der Organisationen zu den Berichtskategorien):

  • systematische Literaturanalysen (WHO, SCENIHR, ICNIRP, IARC)
  • umfassende Fachberichte (BioInitiative, Kompetenzinitiative, ECOLOG, SSK, BfS)
  • öffentlichkeitsorientierte, eher selektiv zusammengestellte Bewertungsberichte (BUND, dkfz, LfU/LUBW, Diagnose Funk, IZMF).

Resultat (vgl. mit Tabelle im vorherigen Abschnitt): Systematische Analysen der wissenschaftlichen Literatur kommen fast durchwegs zu gleichen oder sehr ähnlichen Risikoeinschätzungen. Wird die Literatur selektiv berücksichtigt und fliessen auch ausserwissenschaftliche Risikohinweise in die Beurteilungen ein, verlieren die Einschätzungen an Einheitlichkeit, und die Aussagen entfernen sich qualitativ von den rein wissenschaftlich basierten Bewertungen.

Bewertungspräferenzen

Je nach Motivation und Wertvorstellung einer Person / Organisation kann eine gegebene Studiengrundlage zu verschiedenen Risikobewertungen führen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Wissenschaft keine glasklaren Aussagen macht. Die wissenschaftliche Unsicherheit kann dann so oder anders ausgelegt, interpretiert und generalisiert werden, etwa abhängig von der Gewichtung des Vorsorgeprinzips oder von der Bedeutung, die dem wissenschaftlichen Wissen gegenüber anderem Wissen (beispielsweise anekdotischem) eingeräumt wird.

Wir haben festgestellt (Fragebogen, Dokumentenanalyse – siehe Schlussbericht), dass drei Bewertungspräferenzen relevant sind (in Klammern die Zuordnung):

  • evidenzbasierte Risikoeinschätzung (SCENIHR, ICNIRP, IARC, SSK, dkfz)
  • politische Vorsorgesicht (WHO, LfU/LUBW, BfS, IZMF, ECOLOG, BUND)
  • Unbedenklichkeitsnachweis (Kompetenzinitiative, Diagnose Funk).

Zu beachten: die Bewertungspräferenz von BioInitiative liess sich nicht aus den Daten erschliessen, weil der Fragebogen in wichtigen Punkten unbeantwortet blieb. Die Frage, ob und wie stark BioInitiative evidenzbasiert vorgeht, lassen wir hier deshalb offen.

Resultat: Für jemand, der eine ausgeprägt „evidenzbasierte Risikosicht“ hat, gilt eine Arbeit, deren methodische Qualität tief ist und die einen Effekt nicht klar nachgewiesen hat, als nicht oder nur wenig aussagekräftig. Jemand, der sich vom Vorsorgeprinzip leiten lässt, oder gar einen Unbedenklichkeitsnachweis als Massstab für die Risikoeinschätzung nutzt, sagt von derselben Studie, dass sie zeige, dass ein Effekt nicht ausgeschlossen, also denkbar und möglich sei. Entsprechend "alarmistisch" fällt diese Risikoeinschätzung – im Unterschied zu einer wissenschaftlich orientierten – aus.

In der Figur oben ist dargestellt, wie je nach Bewertungspräferenz Effekte (und damit Studienresultate) unterschiedlich bewertet werden können. Die Farben entsprechen den oben eingeführten Kategorien.

Fazit

Wir haben 12 vor allem für Deutschland relevante Risikobewertungen von nationalen und internationalen Organisationen analysiert. Die Einschätzungen unterscheiden sich z.T. diametral. Die Differenzen kann man mit zwei Faktoren erklären: einerseits mit der Faktenbasis, auf welche die Organisationen ihre Bewertungen stützen, andererseits mit der Wertorientierung, nach der sie unsichere wissenschaftliche Aussagen beurteilen.

Institutionen, die sich primär auf wissenschaftliche Evidenz verlassen (und diese systematisch oder zumindest umfassend analysieren), kommen zu gleichen oder sehr ähnlichen Risikoeinschätzungen. Qualitativ geben diese Einschätzungen eher wenig Anlass zur Besorgnis. Organisationen, welche die wissenschaftliche Datenbasis selektiv und nur spärlich nutzen, die auch ausserwissenschaftliche Evidenzen berücksichtigen und die Studienresultate primär politisch – im Sinne der Vorsorge – bewerten, kommen mehrheitlich zu einer warnenden bis alarmistischen Beurteilung.

Link zum vollständigen Bericht: BfS-Schlussbericht