emf-info

Gesundheit – Erbgutschäden / Genotoxizität

Das Erbgut von Lebewesen befindet sich im Zellkern (teilweise auch in anderen Zellteilen). Die eigentliche Erbinformation ist in der DNA gespeichert. Die DNA ist ein langes Kettenmolekül, das wie eine gewundene Leiter aussieht (Abbildung). Die Sprossen dieser Leiter sind aus unterschiedlichen Bausteinen gefertigt (den vier Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin). Diese Bausteine kodieren die Erbinformation. Während in der digitalen Computertechnik Informationen aus zwei Symbolen (Nullen und Einsen) gebildet werden, sind es in der DNA vier „Symbole“, die eben erwähnten Basen. Eine bestimmte Sequenz von Basen bildet eine Erbinformation bzw. ein Gen (der Mensch besitzt um 20‘000 Gene). Die Anzahl Basen variiert dabei von Gen zu Gen. Sie liegt zwischen 10‘000 bis über eine Million. Man spricht von einem Erbgutschaden, wenn die Abfolge der Basen und/oder deren Verkettung derart verändert oder beschädigt ist, dass die ursprüngliche Zellfunktion nicht mehr gewährleistet wird. Mit zunehmendem Alter nehmen solche Genschäden natürlicherweise zu.

Schädigung des Erbgutes

In jeder Zelle geschehen tagtäglich tausende von chemischen Modifikationen an der DNA. Die Ursachen dafür sind vielfältig: „eigenes Versagen“ der DNA-Mechanismen (Fehler beim Kopieren der Erbinformation), thermische Zusammenstösse mit anderen Molekülen (insbesondere mit Produkten des Stoff-wechsels – hierhin gehören die chemisch reaktiven Sauerstoffspezies, engl. ROS), oder „externe“ Einwirkungen wie ionisierende Strahlung. Folgende Basenschäden können auftreten:

  • Verlust von Basen (insbesondere Adenin und Guanin. Pro Minute werden tausende dieser Basen aus der DNA jeder Zelle freigesetzt).
  • Modifikation von Basen (zum Beispiel die Umwandlung von Cytosin in Uracil).
  • Vernetzung von Basen (zum Beispiel die Verbindung von zwei benachbarten Thyminbasen unter dem Einfluss von UV-Licht).
  • Falsche Abfolge von Basen (sie entsteht beim fehlerhaften Kopieren der DNA; diese sog. Replikationsfehler passieren sehr selten, nur etwa einmal  pro Milliarde Kopiervorgänge).

Neben Basenschäden können noch weitere Schadensformen auftreten bzw. Folgeschäden resultieren, die zytogenetisch sichtbar sind: 

  • DNA-Einzelstrangbruch (im Bild der Leiter: Bruch eines Holmes; eine häufige Ursache dafür ist der Verlust einer Base)
  • DNA-Doppelstrangbruch (Bruch beider Holme und damit der Leiter)
  • Chromosomenschäden
  • Mikrokerne
  • Schwester-Chromatidaustausch

Wenn die chemischen Modifizierungen nicht laufend repariert würden, hätten sie katastrophale Folgen für ein Lebewesen. Zellen besitzen deshalb ein hocheffizientes Reparatursystem, das Fehler bzw. Schäden erkennt und innert kurzer Zeit repariert. So wird beispielsweise ein Grossteil der beobachteten DNA Strangbrüche (v.a. Einzelstrangbrüche; nur 0.5% aller Strangbrüche sind Doppelstrangbrüche) innerhalb der ersten Stunde nach Auftreten der Störung bereinigt. Eine Schwächung des zellinternen Reparaturmechanismus kann folglich indirekt die Anzahl Gendefekte in einer Zelle erhöhen. Nicht oder fehlerhaft korrigierte Schäden können Genfunktionen inaktivieren oder verändern und somit zum Beispiel zu einem erhöhten Krebsrisiko führen. 

Genotoxische Schäden werden mit unterschiedlichen mikrobiologischen Methoden nachgewiesen (Tabelle).

Genotoxizität und Gesundheit

Hinsichtlich der gesundheitlichen Bedeutung gilt es, neben den eigentlichen Schäden auch die unmittelbar daraus resultierenden Effekte im Auge zu behalten. Dabei können die wichtigsten Effekte in folgende Prioritätenliste gebracht werden (1 ist weniger gesundheitsrelevant als 5):

  1. Genexpression: Damit wird die Aktivierung eines Gens bezeichnet. Ein aktiviertes (exprimiertes) Gen bildet (synthetisiert) gemäss Erbinformations-„Bauplan“ Proteine mit definierten Funktionen im Zellstoffwechsel. Genschäden können die Genexpression unterdrücken oder überaktivieren. Ist der genaue Pfad von der Aktivierung eines bestimmten Gens bis zur Reaktion in der Zelle unbekannt (das ist heute der Normalfall), dann lassen sich aus Befunden zur Genexpression keine Aussagen zur gesundheitlichen Relevanz ableiten. 
  2. Proteinexpression: Die Gesamtheit der in einer Zelle vorhandenen Proteine kann (im Unterschied zur Gesamtheit der Gene) je nach Umwelteinfluss und Aktivitätsniveau des Organismus variieren. Veränderungen in der Proteinzusammensetzung können auf gesundheitliche Probleme hindeuten. Allerdings ist die Komplexität im Zusammenspiel der Eiweisse (der Mensch besitzt viele hunderttausend verschiedene Proteine) so gross, dass – wie im Falle der Genexpression – allgemeingültige gesundheitliche Aussagen aus Proteinanalysen selten möglich sind.
  3. Genotoxische Schäden (siehe oben): Ein genotoxischer Effekt als solcher ist nicht notwendigerweise ein Gesundheitsrisiko, da die meisten DNA Schäden durch zellinterne Reparaturmechanismen korrigiert werden. 
  4. Zellzyklus: Üblicherweise vermehren (proliferieren) sich menschliche Zellen nur wenn sie durch Signale von anderen Zellen dazu aufgefordert werden. Sonst verbleiben sie in einem Ruhestadium. Ist der Anteil von Zellen in aktiver Phase erhöht, so kann das ein Indikator für Zellen auf dem Tumorpfad sein.
  5. Apoptose: damit wird der programmierte Zelltod bezeichnet. Er sorgt dafür, dass nicht mehr benötigte oder geschädigte Zellen zerstört werden. Störungen in der Regulierung der Apoptose können ernsthafte gesundheitliche Folgen haben.

Die Nachweisverfahren für die erwähnten Effekte sind in der Tabelle zusammengestellt.

Genotoxizität elektromagnetischer Strahlung

Die sehr energiereiche ionisierende Strahlung (UV-Licht, Röntgenstrahlung, Radioaktivität) hat nachweislich genotoxische Wirkungen. Hochfrequente Strahlung hoher Leistung kann das Gewebe erwärmen. Ist diese Erwärmung ausreichend gross, können ebenfalls genetische Schäden entstehen. Die Grenzwerte schützen den Menschen jedoch 100%ig vor einer solchen Gefährdung. Ob genotoxische Schäden bei schwacher elektromagnetischer Strahlung unterhalb der Grenzwerte möglich sind, ist wissenschaftlich umstritten. Hinweise in diese Richtung existieren, sie sind jedoch uneinheitlich und nur beschränkt bestätigt worden.

Ein grosses europäisches Forschungsprojekt, die sog. Reflex-Studie, hat sich während mehrerer Jahre dem Thema angenommen. Die Studie bestrahlte im Labor Zellkulturen und untersuchte sie anschliessend auf Genotoxizität, Genexpression, Zellzyklus und Apoptose hin. Insgesamt haben weder niederfrequente noch hochfrequente elektromagnetische Felder Zellzyklus, Zellwachstum, Zellvermehrung und Zelltod beeinflusst. Es scheint jedoch, dass bei einzelnen Zelltypen, die elektromagnetischen Feldern mit bestimmten Signalstrukturen ausgesetzt werden, genotoxische Wirkungen (Strangbrüche, Chromosomenschäden, Mikrokerne) auftreten können. Diese Schäden werden jedoch (1) zellintern wieder repariert und führen nicht zu einer sichtbaren Einbusse der Vitalität und Funktionalität der Zelle und (2) sie sind im Vergleich zu Schäden von bekannten genotoxischen Stoffen gering und liegen teilweise an der Nachweisgrenze der eingesetzten Analyseverfahren.

Eine Wiederholungsstudie konnten die Sachlage genauer beschreiben: so scheint es, dass die gehäuften Strangbrüche nur in einer bestimmten Phase des Zellzyklus auftreten, nämlich dann, wenn sich die Zelle zu teilen beginnt. Dazu muss der Zellkern seine Erbsubstanz verdoppeln, was natürlicherweise zu einer Fragmentierung der DNA führt. Elektromagnetische Felder (v.a. niederfrequente Magnetfelder die in bestimmtem Rhythmus ein- und ausgeschaltet werden) scheinen diesen Prozess der DNA-Replikation zu beeinflussen – und nicht direkt das Erbgut zu schädigen.

Schlussfolgerungen

Es gilt heute als sehr unwahrscheinlich, dass schwache elektromagnetische Felder die DNA schädigen. Hingegen gibt es Hinweise, dass bestimmte Signale in der Replikationsphase des Zellzyklus die molekularen Prozesse beeinflussen können. Die Funktionalität und Vitalität der Zellen wird dadurch aber nicht verändert. Die involvierten Prozesse und Mechanismen sind im Detail noch nicht bekannt und erfordern weitere Untersuchungen.

Ausgewählte Literatur (Übersichtsarbeiten)

Übersicht 2019 zu Mobilfunk und Genschädigungen

BioInitiative Working Group (2012). Health effects from radiofrequency electromagnetic fields. BioInitiative Report, www.bioinitiative.org. Sections 5 and 6.

Blank, M., Goodman, R. (2011). DNA is a fractal antenna in electromagnetic fields. Int. J. Radiat. Biol., 87, 4, 409–415.

Independent Advisory Group on Non-Ionising Radiation (AGNIR) (2012). Health effects from radiofrequency electromagnetic fields.  U.K. Health Protection Agency, Oxfordshire. Chapters 3.1, 81-86, 4.5.1, 157-161.

International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) (2010). Guidelines for limiting exposure to time-varying electric and magnetic fields (1Hz to 100kHz). Health Physics, 99, 6, 818-836.

International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection ICNIRP (2009). Exposure to high frequency electromagnetic fields, bilogical effects and health consequences (100 kHz-300 GHz). Chapter II.3, 102-155.

Juutilainen, J., Höytö, A., Kumlin, T., Naarala, J. (2011). Review of possible modulation-dependent biological effects of radiofrequency fields, Bioelectromagnetics, 32, 7,  511–534.

Miyakoshi, J. (2013). Cellular and Molecular Responses to Radio-Frequency Electromagnetic Fields. Proceedings of the IEEE, 101, 6, 1494-1502.

SCENIHR (Scientific Committee on Emerging and Newly Identified Health Risks) (2015). Opinion on Potential Health Effects of Exposure to Electromagnetic Fields (EMF). European Commission, Brussels. Sections 3.6.1.3 and 3.8.1.3.

Udroiu, I., Guiliani, L., Ieradi, L.A. (2010). Genotoxic properties of extremely low frequency electromagnetic fields. Erschienen in: Giuliani, L., Soffritti, M.: "Non-thermal effects and mechanisms of interaction between electromagnetic fields and living matter", Mattioli 1885 (ISBN 978-88-6261-166-4, 403 Seiten): 123 - 134

Verschaevea, L. et al. (2010). In vitro and in vivo genotoxicity of radiofrequency fields. Mutation Research, 705, 3, 252–268.